Die Omama im Apfelbaum
feiert ihren 60. Geburtstag
Unter den fünf runden Jubiläen von Mira Lobe-Büchern in diesem Jahr (2025) sticht Die Omama im Apfelbaum ganz besonders hervor. Diese Geschichte von der Omama, die alles kann und kein Abenteuer auslässt, war vom Start weg ein Bestseller und das nicht nur im deutschsprachigen Raum. In kürzester Zeit eroberte das Buch die internationale Kinderbuch-Szene und wurde zu einem der Klassiker der Kinder-Weltliteratur. Das beweisen auch die vielen, in andere Sprachen übersetzten Ausgaben. Derzeit gibt es neben den paar deutschsprachigen Ausgaben fast 30 in anderen Sprachen, von Albanisch bis Thailändisch. Und es kommen laufend neue dazu. So ist die ungarische und die vietnamesische Ausgabe erst im Vorjahr (2024) erschienen.
Sofort nach dem Erscheinen der 1. Auflage des Buches wurde Mira Lobe für Die Omama im Apfelbaum sowohl mit dem Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur als auch mit dem Preis der Stadt Wien für Kinder und Jugendliteratur ausgezeichnet.
Dass eine Kinderbuchautorin für dasselbe Werk gleichzeitig mit diesen beiden höchsten Auszeichnungen gewürdigt wird, kommt ziemlich selten vor. (1972 wurde Mira Lobe ein zweites Mal mit beiden Auszeichnungen gleichzeitig für ihren vielleicht berühmtesten Klassiker gewürdigt, „Das kleine ich bin ich“.)
Die Originalausgabe von Die Omama im Apfelbaum erschien 1965. Seitdem wurden bereits mehr als 200.000 Exemplare in 35 Auflagen gedruckt.
Mira Lobe erwähnte die Omama-Idee zum ersten Mal im Oktober 1964 in ihren persönlichen Aufzeichnungen. Am 26. und 27. Oktober gab es erste Besprechungen dazu mit der Illustratorin Susi Weigel. Der ursprüngliche Plan scheint ein weiteres gemeinsames Bilderbuch für 3 bis 6 jährige Kinder gewesen zu sein, wie es ja von diesem Duo und zu diesem Zeitpunkt schon etliche gab und auch noch viele folgen sollten. Jedoch vermerkt Mira Lobe: „Eine Stunde im Ausdenken der ‚Omama‘, in der so viel drinsteckt bzw. sich als so fündig erweist, dass sie eigentlich was für ältere Kinder wäre.“ Und so entstand in der Rekordzeit von knapp 3 Monaten, zwischen Januar und März 1965, ein Buch für Kinder ab 8 Jahren. Der flotte Text wird auf 110 Buchseiten von Susi Weigels fast karikaturartigen Schwarzweißzeichnungen begleitet.
So unterhaltsam die Geschichte von der Omama im Apfelbaum ist und so verrückt die fantastischen Abenteuer auch sind, so hat die Idee zu diesem Buch einen eher tragischen Hintergrund, der eng mit Mira Lobes eigener Biografie verbunden ist. Die Idee zum Buch stammte nämlich von einem Buben aus ihrem Umfeld, der seine Omamas nie kennen lernen konnte, weil sie nicht mehr am Leben waren, als er zur Welt kam. Deshalb beneidete er die anderen Kinder, die zumeist sogar zwei lebende und liebende Omas hatten. Die Klage dieses Buben über die fehlenden Omamas, inspirierte Mira Lobe zu der Idee eines Buben, der sich statt der echten seine eigene Fantasie-Omama macht. Das Schicksal dieses Buben ist dem von Mira Lobe ähnlich, denn sie selbst war wegen ihrer jüdischen Herkunft eine Verfolgte und Vertriebene, die mit Mühe dem Holocaust entkommen war. Einige ihrer Familienmitglieder, Freunde und Freundinnen konnten sich nicht mehr retten und wurden von den Nazis ermordet. Als diese schreckliche Zeit endlich vorbei war wuchs in ihrem Umkreis eine Generation von Kindern heran, die ihre Großeltern nie kennen lernen durften, weil die den Holocaust nicht überlebt hatten. Wie so viele ihrer Generation, sprach Mira Lobe nicht viel über dieses tragische Schicksal und seine schlimmen Folgen. Aber irgendwann in den 1980er Jahren war sie zu einer Kinder-TV-Sendung eingeladen und dort erzählte sie von diesem Buben, der sie mit seiner Klage, keine Oma zu haben auf die Idee der fantasierten Omama brachte. Zumindest eine seiner zwei Omamas sei „umgekommen“ sagt sie da ausdrücklich und: „Ich hab mir dann einen Buben ausgedacht, der sich eine Omama ausdenkt.“.
Mira Lobe spricht mit Kindern über die Idee zum Buch
Den Text über die unternehmungslustige Abenteuer-Omama schrieb Mira Lobe jedenfalls mit viel Freude und Elan. Anfang 1965 vermerkt sie, dass sie, „um an etwas Erfreulichen zu denken“ an die ‚Omama denkt. „Da fällt mir soviel Lustiges ein, dass es eine Freude ist“. Und ein paar Tage später notiert sie: „Der Omama nahe getreten. Das könnte ganz lustig werden, wenn’s was wird.“ Und: “Energisch die Omama angefangen. Geht mir flink und fröhlich von der Hand, was ich ja vorher wußte.“
So freudig und motiviert äußerte sich Mira Lobe nur selten, wenn sie über die oft mühsame Arbeit an ihren Manuskripten sprach. Hier jedoch bleibt ihre animierte Arbeitsstimmung beim Erfinden der fantastischen Omama-Verrücktheiten vom Beginn der Geschichte bis fast zum Ende bestehen. Sie vermerkt: „Es funkt, macht Spaß, viele nette Dinge fallen mir ein für die Omama. Z.B., dass Wildpferde, die statt mit Würfelzucker mit Kaugummi gefüttert werden, ihr Pferdegebiss nicht mehr auseinander bekommen und aus Dankbarkeit für die Befreiung von dieser klebrigen Qual schon halb gezähmt sind. Hoffen wir, dass es nett wird.“
Allerdings entnehmen wir ihren persönlichen Aufzeichnungen, dass der Schluß der Geschichte ihr dann doch noch erhebliche Schwierigkeiten bereitete, nämlich dort, „…wo die reale die fantastische Omama verdrängt“. Sie schreibt: „Der Abschied von Oma eins tut mir so leid, dass es mir nur langsam gelingt, die realistische Oma zwei ans Herz zu nehmen, wie es doch nötig ist, um sie liebevoll und liebenswert zu beschreiben. Die verrückte Abenteuer-Oma-Eins ist vor allem aufregend und amüsant, natürlich auch nett. Der Appeal der Oma zwei, nicht aufregend, besteht für Andi in ihrer Unvollkommenheit, dass sie ihn braucht.“ Wäre allein Mira Lobes Intention ausschlaggebend gewesen, wäre der Bub Andi bis zum Schluß des Buches nicht vom Apfelbaum herunterkommen. Er hätte dort weiterhin seine Wunschfantasien ausschließlich mit der fantasierten Oma ausgelebt, also mit „Oma eins, die derart forsch, derart vollkommen, bewundernswert, imponierend, perfekt, eine Superfrau ist“.