Mira Lobe

Woher das Christkind kommt

Matthias lag im Bett und dachte über das Christkind nach. Es war still im Zimmer. Traudl atmete ruhig, Annerl warf sich von Zeit zu Zeit herum und murmelte irgend etwas Unverständliches.
Matthias stieß die Bettdecke zurück, kniete vor dem Fenster und schob den Vorhang zur Seite. Draußen breitete sich die schneehelle Winternacht aus. Das Haus stand am Hang. Hinter dem Hang stand der Wald. Und hinter dem Wald stiegen streng und klar die weißen Berge auf.
"In der Vorweihnachtszeit", hatte die Mutter gesagt, ,,fliegt das Christkind eifrig herum, schaut in alle Fenster und sammelt die Wunschzettel der Kinder ein.“ Nichts flog. Matthias spähte zum Waldrand hinauf. Nichts. Voriges Jahr hatte er der Mutter solch einen Wunschzettel diktiert: „Liebes Christkind! Bitte ein Paar Ski. Sonst nichts."
Die Mutter war beim Schreiben immer langsamer geworden.
„Horch einmal, Matthias, daraus wird nichts! Das Christkind hat ja Augen im Kopf und kann sehen, daß du zum Skilaufen noch zu klein bist."
„Aber der Josl vom Nachbarhof'', hatte Matthias eingewendet, ,,ist ja auch nicht viel größer, und der schießt auf seinen Brettern den Berg hinunter, daß es nur so rauscht!"
„Dann ist der Josl halt besonders brav gewesen, was man von dir nicht behaupten kann ... ", hatte die Mutter erwidert.
Tatsächlich war aus dem Geschenk nichts geworden: Matthias hatte Spielzeug bekommen und eine warme Jacke. Keine Ski.
Aber jetzt war er nicht mehr zu klein! Immer hieß es: „Du bist doch unser Großer!" Der Große mußte im Stall helfen, mußte Hühner und Kaninchen füttern, mußte Unkraut jäten und auf die kleinen Schwestern aufpassen. Besonders gern tat er das nicht. Wenn die Mutter ihn rief, kam er erst beim zweiten oder dritten Mal, und manchmal kam er überhaupt nicht, sondern versteckte sich im Schuppen und ließ die Mutter su­chen. Aber so etwas machten alle Jungen, auch der Josl vom Nachbarhof. Wenn das Christkind Augen im Kopf hatte, mußte es sehen, daß Matthias nicht schlimmer war als die andern Kinder, die sich zu Weihnachten ein Paar Ski wünschten und auch bekamen. Matthias legte sich wieder ins Bett. Das Christkind ... Wie war das eigentlich mit dem Christkind?
Heute nachmittag war er unten im Dorf gewesen, einkaufen für die Mutter. Nicht nur so langweilige Sachen wie Suppenwürfel und Margarine, sondern auch interessante, festliche: Wunderkerzen, Lametta und Engels­haar. Als er aus dem Laden kam, standen zwei Jungen vor den Auslagen: der Florian und der Josl.
„Grüß Gott", sagte Matthias, ,,was habt ihr euch denn vom Christkind gewünscht?"
Sie tauschten Blicke, stießen einander an und kicherten wie Mädchen. „Es gibt überhaupt kein Christkind, du Dummer! Das sind doch nur die Eltern, die alle Geschenke kaufen und unter den Weihnachtsbaum legen!"

Mira Lobe - etwa 1975 © Fred Prager
Mit Tochter Claudia am Strand von Tel-Aviv, 1945

„Was? Es gibt kein Christkind?" Matthias wurde rot vor Entrüstung.
„Kein Christkind, keinen Osterhasen, keinen Klapperstorch", sagte Florian. Das mit dem Osterhasen war vielleicht wirklich nur eine hübsche Geschichte. Mat­thias hielt es für ausgeschlossen, daß ein Hase Eier legen konnte, noch dazu bunte mit Mustern. Einern Bauern­jungen, der jeden Tag die Nester im Hühnerstall aus­nahm und Hasen über die Wiese hoppeln sah, konnte man so etwas nicht erzählen. Und der Storch? Wenn einer zwei kleine Schwestern hatte, wußte er Bescheid. Aber mit dem Christkind - das war etwas anderes! Das ließ sich Matthias so leicht nicht nehmen. Er wäre am liebsten auf die Jungen losgegangen. Aber sie waren zu zweit - und überhaupt: Was hätte solch eine Rauferei eingebracht? Bestimmt keine Antwort auf die Frage, ob es das Christkind gibt oder nicht. Da mußte er sich schon bei der Mutter erkundigen. Oder beim Großvater. Der war klug. Der war vielleicht der klügste von allen.
Was sich Matthias vornahm, führte er auch aus. Gleich am nächsten Morgen versuchte er, mit der Mutter über das Christkind zu sprechen. Aber das war nicht einfach, eine Bäuerin hat viel zu tun. Matthias wanderte su­chend umher, vom Haus in den Hof, vom Hof in den Schuppen, vom Schuppen in den Stall. Dort fand er sie beim Melken. „Mutter, ich möchte dich was fragen. Die Kinder unten im Dorf ... "
„Jetzt nicht, Matthias. Jetzt hab ich keine Zeit. Wenn ich mit dem Melken fertig bin, muß ich einheizen. Schau du einmal nach dem kranken Huhn - und sieh nach, was die Mädchen machen, damit sie nichts anstellen."
Die Mädchen sollten allein fertigwerden, aber zu der kranken Henne ging er gern. Sie war nicht mehr krank, ihr Kamm war rot und straff, und als er unter das warme Brustgefieder griff, lag dort ein Ei. Na also!
Er traf die Mutter im Vorhaus. Sie trug die vollen Kübel in die Milchkammer.
„Mutter, schau, das Huhn hat ein Ei gelegt. Kann ich dich jetzt was fragen? Die Kinder unten im Dorf ... " „Jetzt nicht, Matthias. Hast du auch nach Annerl und Traudl gesehen? Und vergiß nicht, mir Holz hereinzu­holen. Gestreut werden muß auch."

Matthias ging in den Schuppen und füllte den Korb mit kleingespaltenem Holz. Die Mutter hatte keine Zeit für ihn - wie gewöhnlich. Nach dem Einheizen mußte sie die Schweine füttern und Wäsche waschen und Essen kochen; und falls heute Freitag war -Matthias wußte das nie so genau-, mußte sie auch noch Brot backen. Wann sollte er da mit ihr über das Christkind sprechen? Matthias brachte den Holzkorb in die Küche, nahm den Ascheneimer und die Kohlenschaufel und ging streuen. Über Nacht war frischer Schnee gefallen. In aller Frühe hatte der Vater einen Weg zur Straße freigeschaufelt. Wie ein Sämann ging Matthias zwischen den Schneemauern hindurch und streute rotbraune Asche auf den weißen Weg. Als er mit dem leeren Eimer in die Küche zurückkam, kniete die Mutter vor dem Herdloch und blies mit gespitzten Lippen in das mattglimmende Holz.
„Mutter, jetzt frag ich dich. Die Kinder unten im Dorf ... "
„Heute will's aber gar nicht brennen!" Die Mutter blies und stocherte mit dem Schürhaken.
Matthias ließ sich nicht ablenken. „Die Kinder unten im Dorflachen mich aus. Sie sagen, es ist dumm, wenn man ans Christkind glaubt."
„Laß sie lachen, Hias. Es ist nicht dumm, es ist schön." Sie schob ein paar Späne ins Loch, blies und stocherte. Im Herd wurde es lebendig, es begann zu knistern und zu sausen.
,,Endlich!" sagte die Mutter.
Matthias kauerte sich neben sie. „Und du, Mutter, glaubst du an das Christkind?"
Von oben kam donnerndes Gepolter. Es klang, als fielen alle Stühle um. Gleichzeitig hörte man durchdringendes Gebrüll. Traudl schrie wie am Spieß. Matthias lief hinauf. Natürlich war Annerl schuld-wie immer. Sie hatte der kleinen Schwester eingeredet, man könne einer Katze Puppenkleider anziehen und Mutter und Kind mit ihr spielen. Traudl sollte die Katze nur festhalten, während Annerl ihr die Haube umband. Die Katze aber war nicht in Faschingslaune und hielt nichts vom Verkleiden. Zwischen Traudls Armen wandte und drehte sie sich, fauchte, kratzte und rannte mit großen Sprüngen unters Bett. Annerl stürzte hinter ihr her, um sie einzufangen und riß dabei die Stühle mit.
Als Matthias hereinkam, fand er alles am Boden: Annerl, die auf dem Bauch vor ihrem Bett lag und „Miez! Miez!" machte, die Stühle und die heulende Traudl.
„Hör auf mit dem Geplärr!" fuhr Matthias sie an. Jammernd hielt sie ihm die blutende Hand hin.
„Schleck's ab!" Er brachte die Stühle und die Schwestern ziemlich unsanft wieder auf die Beine.

Mira Lobe mit Sohn Reinhardt und Tochter Claudia, ca. 1954
Mira Lobe mit Sohn Reinhardt, ca. 1964

Diese Mädchen! Einer Katze Puppenkleider anziehen! Auf so was Dummes würden Jungen niemals verfallen. Und weil Traudl immer weiter schluchzte, schüttelte er sie wie einen reifen Zwetschgenbaum: „Jetzt gibst du aber endlich Ruh! Wenn ich die Katze wäre, hättest du mehr abbekommen. Nicht nur ein paar Kratzer ... " Matthias nahm die beiden an die Hand und stieg mit ihnen die Holztreppe hinunter.
„Da hast sie!" Er stieß die Schwestern ein wenig zur Mutter hin. Und weil er fand, daß er heute für Haus und Familie genug geleistet hatte, fragte er: ,,Kann " ich jetzt auf den Berg hinauf zum Großvater gehen?
„Was willst du denn dort?" erkundigte sich die Mutter. „Nur so ... Dem Großvater ist's immer recht, wenn ich komme.“
„Ich geh mit! Ich geh mit!" rief Annerl und hüpfte in der Küche herum.
“Ich auch! Ich auch!" piepste Traudl und hüpfte ebenfalls.
„Nimm den Schlitten mit!" riet die Mutter. „Dann kannst du auf dem Heimweg rodeln."
„Ich auch! Ich auch!" kreischte Annerl entzückt.
Matthias stellte sich taub. Er wäre viel lieber allein gegangen.
„Du nimmst Annerl mit!" Die Stimme der Mutter war fest. Dagegen half gar nichts.
Der Schlitten wurde geholt. Die Kufen knirschten auf dem Aschenweg. Matthias spannte sich wie ein Gaul davor, und Annerl setzte sich wie eine Prinzessin darauf.
Allerdings benahm sie sich durchaus nicht königlich. Sie fegte mit beiden Händen Schnee zusammen, formte Bälle und bewarf damit den braven Gaul.
„Hör auf, Annerl!" Sie dachte gar nicht daran. „Aufhören, du!" Er blieb stehen, schöpfte zwei Handvoll losen Schnee und warf ihn ihr ins Gesicht. Sie riß den Mund auf, spuckte und schnaubte –aber sie weinte nicht. Das tat sie nie, und das war entschieden das beste an ihr.
Der Weg wurde steiler. Zu beiden Seiten stand der ver­schneite Wald.
„Steig ab, Annerl!"
Die Prinzessin rührte sich nicht.
„Hast du nicht gehört! Du sollst absteigen. Oder meinst du, ich zieh dich den ganzen Weg hinauf bis zu den Großeltern?"
Ja, das hatte die Prinzessin gemeint. Sie saß auf dem Schlitten wie angewachsen.
„Also - steigst du jetzt ab oder nicht?" Er packte die Querstange und lupfte den Schlitten in die Höhe. Die Prinzessin klammerte sich fest. ,,Ich steig ab, wenn du mir eine Geschichte erzählst."
„Was für eine Geschichte?"
„Vom Christkind. Aber genauso, wie die Mutter sie erzählt. Sonst bleib ich sitzen."
Er schüttelte sie energisch vom Schlitten hinunter. Die Prinzessin kugelte in den Schnee, gab aber keinen Muckser von sich. Sie stand auf, legte ganz ruhig ihre Hand in die seine und sagte: „Jetzt fang an! Am Weihnachtsabend, wenn's dunkel wird, tun die Engel ... Na? Tun die Engel ... "
„Weiß nicht, was sie tun ", brummte Matthias.
„ ... tun die Engel das Himmelstor auf Und das Christkind ... Na?"
Matthias hatte keine Lust. Wozu reden? Es war so still im Wald. Annerl zog heftig an seiner Hand. „Erzähl doch endlich! Du hast mir's versprochen."
Gar nichts hatte er versprochen. Aber so war Annerl; was sie sich in den Kopf setzte, das mußte sie haben: eine Katze in Puppenkleidern, eine Rodelfahrt, eine Geschichte.

„Also, das Christkind kommt auf einem großen Schlitten vom Himmel herunter", begann Matthias. „Es sitzt vorn auf dem Kutschbock. Hinten sind die Geschenke, und vor dem Schlitten sind weiße Pferde ... "
„Silberne", verbesserte die Annerl.
„Silberne Pferde gibt's nicht. Nur braune und schwarze und weiße."
„Doch! Gibt's! Beim Christkind gibt's alles. Silberne Pferde und der Schlitten ist aus Gold. Die Mutter hat's gesagt."
Matthias ärgerte sich. „Wenn du's so genau weißt, dann erzähl's selbst!"
Ein paar Minuten blieb er stumm, ließ sich aber dann von Annerls Bitten erweichen. „Das Christkind kommt von oben herunter, fast so schnell wie ein Flugzeug, und manchmal dreht es sich um und guckt nach, ob noch alle Geschenke da sind. Denn es könnte ja sein, daß unterwegs ein paar hinauspurzeln. Über die Berge fährt es und durch den Wald, überallhin, wo Kinder sind. Auch zu unserm Haus ... "
Annerl atmete tief ein. „Und dann?"
„Dann sind wir oben im Zimmer und warten. Wir hören, wie das Christkind ans Haustor klopft und wie die Eltern aufmachen und wie das Christkind fragt, ob wir brav gewesen sind oder schlimm ... "
„Ich war brav!" rief die Annerl schnell.
„Schlimm warst du", widersprach Matthias.
„Brav."
„Schlimm. Wer hat Traudl den Zopf abgeschnitten?" „Nur damit es nicht so reißt beim Kämmen! Immer hat sie geschrien, wenn die Mutter mit dem Kamm gekommen ist."
„Und die Kaninchen?"
Annerl senkte den Kopf. Das mit den Kaninchen war wirklich eine böse Geschichte. Sie hatte es gut gemeint und alle aus ihren engen, dunklen Ställen herausgelassen, damit sie endlich einmal im Gras herumhüpfen konnten. Aber eh sich's Annerl versah, waren sie nach allen Seiten davongehoppelt, über die Wiese, durch die Hecke, durch den Zaun - auf Nimmerwiedersehen. Annerl hatte es mit der Angst zu tun bekommen und sich versteckt. Es dauerte eine Weile, bis die Mutter merkte, was los war: Die Ställe standen offen, alle Kaninchen waren weg- und Annerl war auch verschwunden. Annerl wurde bald hinter den Kartoffelsäcken gefunden. Bei den Kaninchen dauerte es wesentlich länger. Vater, Mutter und Matthias suchten stundenlang, bis sie schließlich alle wieder eingesammelt hatten. Doch eines blieb weg. Annerl hoffte zwar, daß es in den Wald gehüpft war, um dort mit seinen Verwandten im Grünen zu leben; aber der Vater sagte: „Richtige Hasen wollen von Stallhasen nichts wissen!" Das arme Kaninchen sei gewiß vom Fuchs oder vom Geier geholt worden. Ein schrecklicher Gedanke, bei dem Annerl jedesmal ganz elend wurde.
„Du, Matthias, ob die Mutter es dem Christkind erzählt?"
„Glaubst du etwa, sie wird es anlügen, nur für dich? Außerdem sieht das Christkind sowieso alles. Es hat ja Augen im Kopf ... "
Zwischen den Tannen öffnete sich ein Ausblick. Das kleine Haus der Großeltern lag in Sonne und Schnee. Grauer Rauch kräuselte sich in den Himmel. Als sie eintraten, duftete es nach Weihnachtsbäckerei, nach Zimtsternen und Vanille-Kipferln.
Annerl lief sofort zur Kommode und holte eine große runde Blechschachtel aus der untersten Lade. Darin bewahrte die Großmutter unzählige alte Knöpfe auf, mit denen es sich wunderbar spielen ließ.
Matthias setzte sich zum Großvater an den Tisch und kam ohne Umschweife zum Thema.
„Großvater, ich muß dich etwas fragen. Die Jungen im Dorf sagen, es gibt kein Christkind. Sie sagen, es ist ein Märchen."
Der Großvater sah ihn lange an, sog an der Pfeife und antwortete: „Ich möcht kein Kind ohne Märchen gewesen sein ...“
War das etwa eine Antwort? Matthias schob mißmutig die Unterlippe vor.
„Als ich so alt war wie du, Matthias ", sagte der Großvater, „hab ich auch noch fest ans Christkind geglaubt. Auch damals haben die Jungen im Dorf gesagt: „Es gibt keines' - und haben mich ausgelacht ... "
„Mich auch!" gestand Matthias.
„Ich erinnere mich noch, wie sehr mich das gekränkt hat ... "
„Mich auch."
„Ich habe fast geweint und bin nach Hause gelaufen und wollte mit meinen Eltern reden. Aber sie hatten keine Zeit für mich."
Matthias nickte. Seine auch nicht.
„Aber ich hatte eine große Schwester, ein gescheites Mädchen ... "
„Ich hab nur kleine. Und die sind kein bißchen gescheit."
„Wart's ab, die werden's schon noch." Und dann erzählte der Großvater, wie die große Schwester auf seine Frage damals geantwortet hatte: Freilich gäbe es ein Christkind, man könne es nur nicht sehen, und daß es in einem goldenen Schlitten vom Himmel herunterkutschiert käme, sei tatsächlich ein Märchen für die Kleinen, für die Annerln und Traudln.
Also doch. Matthias schluckte. Es war ihm recht, daß der Großvater ihn nicht mehr zu den Kleinen zählte; aber irgendwas tat weh.
„Dann stimmt es, daß die Eltern alles kaufen?"
„Ja. Aber wer, glaubst du, gibt es den Eltern ein, daß sie den Kindern genau das schenken, was sie sich am meisten wünschen?"
Matthias sah dem Großvater verblüfft in die Augen.
„Etwa das Christkind?"
„Wer denn sonst? In der Weihnachtszeit ist das Christkind in aller Leute Gedanken. Wenn Eltern darüber nachsinnen, was sie ihren Kindern zum Heiligen Abend Gutes tun können, ist das Christkind in diesem Nachdenken mit drin. Und wenn Kinder sich von der Adventszeit an Mühe geben, brav zu sein, so ist das Christkind auch in der Mühe mit drin. Verstehst du?" Matthias staunte. Er versuchte sich vorzustellen, daß das Christkind keine silbernen Pferde lenkte, sondern die Gedanken der Menschen.
„Voriges Jahr", sagte er und sah zu, wie der Großvater die Pfeife ausklopfte, ,,voriges Jahr hat das Christkind der Mutter eingegeben, daß ich noch zu klein war fürs Skilaufen.
Oder ... ", er unterbrach sich plötzlich, „oder meinst du, am Ende hat die Mutter es dem Christkind eingegeben?" Er schwieg verwirrt. Der Großvater antwortete nicht, blinzelte ihm nur zu, als hielte er's nicht für ausgeschlossen, daß die Mutter und das Christkind unter einer Decke steckten.
Da kam Annerl quer durchs Zimmer und klapperte mit der Knopfschachtel. Sie drängte sich zwischen Matthias und den Großvater und wollte Kaufmann spielen. „Wieviel Eier wünschen Sie, mein Herr?" Eifrig sortierte sie die kleinen weißen Perlmutterknöpfe aus. „Und wieviel Kartoffeln?" Das waren die braunen Hosenknöpfe. Matthias wollte nicht Kaufmann spielen. Er wollte sich mit dem Großvater unterhalten. „Laß uns in Ruh, Annerl." Er war drauf und dran, sie mitsamt ihren Knöpfen wegzuschieben und ihr noch einen kleinen Stoß in die Rippen zu geben. Da fiel ihm das Christkind ein. „Sechs Eier hätt ich gern, Frau Annerl. Und zehn Kartoffeln." Und weil ein paar Glitzerknöpfe dabei waren, fragte Matthias, ob er sie als Christbaumschmuck kaufen könne. Die Annerl strahlte.
Der Großvater nickte ihm zu und stopfte sich eine frische Pfeife.

Mira Lobe mit Ehemann Friedrich Lobe und Tochter Claudia, Tel-Aviv, 1944

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