Der Weihnachtsmann mit Brille und Glatze
Lena und Lotte hielten vier Wochen vor Weihnachten eine längere Beratung ab. Thema: Geschenke! Das war nämlich gar nicht so einfach, denn es gab nur ein Sparschwein, aber viele Verwandte.
Lotte und Lena fertigten eine Liste an. Mit der gingen sie in die Geschäfte, schauten hierhin und dorthin, kauften dieses und jenes.
Dann war das Sparschwein leer – und sie waren arm. Dabei fehlte jeder noch ein ganz wichtiges Geschenk: Lena das für Lotte und Lotte das für Lena! „Weißt du was“, sagte Lotte, „wir beide schenken uns diesmal zu Weihnachten überhaupt nichts.“
„Abgemacht“, sagte Lena.
Natürlich wusste jede ganz genau, was die andere sich wünschte. Lotte träumte von einem roten Sonnenschirm für ihren roten Puppenwagen, denn ihre Puppe Clara war so sonnenempfindlich. Lena wünschte sich einen zweiten Teddybären. Einen hatte sie schon, er war schwarzbraun und hieß Numu. Der andere, den sie in einem Schaufenster gesehen hatte, war ganz weiß und sah aus wie Numus Zwillingsbruder. Die eine dachte also immer an den roten Sonnenschirm, die andere an den weißen Teddybären.
Einen Tag vor Weihnachten ging Lotte in den Laden, in dem der weiße Teddybär immer noch im Schaufenster saß. Es war ein Geschäft, in dem man allerlei Spielzeug aus zweiter Hand kaufen und auch tauschen konnte.
„Guten Tag! Bitte was kostet der Bär, der da im Schaufenster sitzt?“, fragte Lotte. Die Verkäuferin nannte den Preis.
„So viel?“, fragte Lotte erschrocken.
„Nimmst du ihn oder nimmst du ihn nicht?“, fragte die Verkäuferin.
„Danke, nein.“ Die Verkäuferin zuckte die Schultern und wandte sich anderen Kunden zu.
„Warum denn so betrübt?“, fragte ein kleiner freundlicher Herr mit Brille und Glatze. Er schien in dem Geschäft so was wie ein Aufpasser zu sein. „Das gehört sich ja wirklich nicht, dass ein Kind einen Tag vor Weihnachten so unglücklich dreinschaut. Versuch doch mal zu lachen.“ Lotte schüttelte den Kopf. „Wie kann ich lachen, wenn der weiße Teddy so teuer ist? Ich möchte ihn meiner Schwester schenken, sie hat schon einen schwarzbraunen.“
„Wie viel Geld hast du denn?“ „Gar keins.“ Der freundliche kleine Herr blinzelte die merkwürdige Käuferin ohne Geld durch seine Brille an. „Hast du gedacht, du bekommst hier die Spielsachen geschenkt?“ Nein – das hatte sie nicht gedacht, aber sie wollte Lena doch so gerne den Bären schenken!
„Hör mal“, sagte der freundliche Herr, „wir sind ja sozusagen auch ein Zweite-Hand- und Tauschgeschäft. Vielleicht hast du was zum Tauschen?“ Lotte überlegte.
„Ich könnte meinen Puppenkinderwagen bringen, der ist fast neu und wunderschön rot. Kann ich den gegen den Teddy eintauschen?“
„Bring ihn her, dann werden wir sehen. Wohnst du weit weg?“
„Nein, zehn Minuten von hier, Friedrichstraße acht.“
Eine Stunde später lag Clara nicht mehr zufrieden im weichen Puppenwagen, sondern saß ungemütlich auf einem harten Stuhl. Lotte musste ein wenig weinen. Es war schon traurig, dass bald die Puppe eines fremden Kindes in ihrem wunderschönen roten Wagen liegen würde. Den Teddybären hatte sie im Kleiderschrank ganz oben und hinten versteckt.
Zur gleichen Zeit stand Lena unschlüssig vor dem Schaufenster des Spielwarengeschäfts – sie kämpfte mit sich. Schließlich ging sie hinein.
„Guten Tag! Haben Sie Sonnenschirme für Puppenwagen?“, fragte sie. Der kleine, freundliche Herr betrachtete sie verblüfft. Es kam ihm so vor, als habe er heute schon einmal mit einem genauso aussehenden Mädchen zu tun gehabt ...Richtig! Die Kleine mit dem weißen Teddy!!
„Wie sieht denn der Puppenwagen aus?“
„Er ist ganz rot und gehört meiner Schwester. Ich möchte ihr so gerne einen roten Sonnenschirm dazu schenken – nur: Geld habe ich keins. Aber ich habe einen sehr netten Teddybären zu Hause, genauso einen, wie Sie ihn im Schaufenster hatten.“
„Einen Teddy?“, fragte der freundliche kleine Herr ahnungsvoll.
„Ja – nur meiner ist nicht weiß, sondern schwarzbraun. Kann ich ihn morgen früh bringen und dafür einen roten Sonnenschirm haben?“
„Einverstanden!“, sagte der kleine freundliche Herr. Und um ganz sicher zu sein, fragte er:
„Wohnst du in der Nähe?“
„Ja, fast um die Ecke, in der Friedrichstraße.“ Beinahe hätte der Herr „Nummer acht“ hinzugefügt.
Der Weihnachtstag war da. Am Nachmittag spielten die beiden Mädchen im Kinderzimmer. Sie hörten, wie die Eltern ins Wohnzimmer schlichen, um den Weihnachtsbaum zu schmücken. Plötzlich war Lena verschwunden. Lotte benutzte ihre Abwesenheit, um schnell den Teddybären aus dem Kleiderschrank zu holen. Leise klopfte sie an die verschlossene Wohnzimmertür.
„Mutti, hier ist mein Geschenk für Lena.“
Unterdessen klopfte auch Lena an eine Tür – an die Haustür der Nachbarin.
„Guten Tag, Frau Jansen. Ich möchte jetzt bitte den Sonnenschirm abholen.“ Lena hatte ihn am Morgen bei der Nachbarin abgestellt. Leise schlüpfte sie in das Vorzimmer.
„Mutti“, flüsterte sie an der Wohnzimmertür, „hier ist mein Geschenk für Lotte.“
Während Lena und Lotte aufgeregt im Kinderzimmer auf die Weihnachtsbescherung warteten und auf ihren Flöten ein Weihnachtslied übten, klingelte es. Das waren die Großeltern. Dann klingelte es wieder. Das war Tante Paula. Jetzt waren alle versammelt.
Da klingelte es zum dritten Mal.
„Wer kommt denn jetzt noch?“, fragte Vati ärgerlich. Lotte und Lena rannten zur Tür, aber Mutti war ihnen zuvorgekommen.
„Wollt ihr wohl in eurem Zimmer bleiben, bis man euch ruft!“
Und dann klingelte es zum vierten Mal, silbern und süß... Das war das Weihnachtsglöckchen.
Vati spielte auf dem Klavier „Ihr Kinderlein kommet“, die Tür ging auf – festlicher Glanz, der geschmückte Baum mit den Geschenken darunter.
Ungläubig starrte Lena auf zwei Teddybären: der eine weiß und der andere schwarzbraun! Lotte blieb wie angewurzelt stehen: Da stand ihr Puppenwagen – mit einem aufgespannten, roten Sonnenschirm!
„Der Schirm ist von Lena ...“, sagte Mutti.
„Ja – aber der Puppenwagen ...“, stotterte Lotte.
„Der Puppenwagen ist vom Weihnachtsmann, und den schwarzbraunen Teddy hat er auch gebracht. Es war ein netter Weihnachtsmann, klein, mit Brille und Glatze.“
Diese schöne Weihnachtsgeschichte von Mira Lobe gibt es auch als liebevoll gestaltetes Buch mit über 20 wunderhübschen Bildern von Alessandra Roberti.
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